In dieser Rubrik finden sich ein Einstieg zum Thema Film und Organisation sowie weitere Ressourcen. Anregungen und Hinweise sind jederzeit willkommen!
1. Warum sollte man sich mit Filmen über Arbeit, Organisation und Management beschäftigen?
Die Auseinandersetzung mit Filmen im Kontext der Management- und Organisationsforschung erscheint als ein randständiges Unterfangen. Man könnte behaupten, da macht jemand (s)ein Vergnügen zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung und verbindet somit die Lust am Bild mit der Lust am wissenschaftlichen Text. Dies hat einen wahren Kern – warum sollte wissenschaftliche Tätigkeit nicht auch lustvoll sein? Jedoch verrät eine solch skeptische Haltung etwas über die üblichen organisationalen und organisationstheoretischen Grenzziehungen, in welcher die Betrachtung von Filmen und Serien der Freizeit und der Konsumsphäre zugeschlagen wird, während man in der Sphäre der Organisation sich mit ernsten Dingen zu beschäftigen habe. Dabei wissen wir doch spätestens seit Karl Marx, dass Produktion und Reproduktion der Arbeitskraft zusammenzudenken sind. Für Max Horkheimer und Theodor W. Adorno ist das Kino Teil jener Vergnügungen, welche die Tristesse der organisierten Arbeit vergessen lassen: „Amusement ist die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus. Es wird von dem gesucht, der dem mechanisierten Arbeitsprozeß ausweichen will, um ihn von neuen gewachsen zu sein“ (Horkheimer/Adorno 1988: 145).
Kino und Film haben also hier eine ökonomische und ideologische Funktion, etwa sichtbar in den Aufstiegsmärchen des Weimarer Kinos, welche jene ‚kleinen Ladenmädchen‘ (Siegfried Kracauer) zur Rührung brachten. Ideologie als gesellschaftlich notwendiger Schein, welches in den Analysen von Siegfried Kracauer, dem Chronisten des Weimarer Kinos, deutlich sichtbar wird.
Film ist damit immer auch ein Spiegel der Gesellschaft und insofern ein wertvoller Gegenstand für die Reflexion von Gesellschaft und deren Arbeits- und Organisationsverhältnissen. Das heißt dann für Kracauer: „Um die heutige Gesellschaft zu erforschen, hätte man also den Erzeugnissen ihrer Filmkonzerne die Beichte abzunehmen“ (Siegfried Kracauer 1977: 282).
Richtet man den Blick auf die Organisationsforschung, sprechen eine weitere Reihe von Gründen für eine Auseinandersetzung mit dem Medium Film. Zunächst liefern Filme und andere Formen der Populärkultur eine Darstellung von Organisationen, welche vom akademischen Diskurs der Organisations- und Managementforschung im Regelfall abweichen. So geht es sowohl in ästhetischer als auch inhaltlicher Hinsicht dramatischer und dynamischer als in den normalen Bahnen akademischer Artikelproduktion. Verhandelt werden Gewalt, Sexualität, Emotionen, Macht, Leiden, Aufstieg und Fall, Chaos und Ordnung und noch manches mehr (Hassard/Holliday 1998: 1).
Damit transportiert Populärkultur auch ein ernstzunehmendes Wissen über moderne Arbeits- und Organisationsverhältnisse, welches wissenschaftlich fruchtbar gemacht werden kann. Ein Wissen, welches sich aus der genauen Beobachtung, aus eigenen Erfahrungen oder den gesellschaftlichen Diskursen speisen kann und diese dann selbst wieder bereichert – sei es in Form des Comic Strips bei Dilbert oder in subversiven Serien über den Büroalltag wie The Office. Was sich dort findet bzw. finden lässt kann Inspiration sein, manch ausgetretenen Pfad der Forschung zu verlassen.
Damit lässt sich ein letzter, vielleicht der zentrale Punkt benennen, warum eine Auseinandersetzung mit Film im Rahmen der Management- und Organisationsforschung lohnend ist. Für Kracauer waren die Filme Spiegel der Gesellschaft. Nun lässt sich durchaus behaupten (und Kracauer war sich dessen bewusst), dass diese nicht nur Spiegel, sondern aktiver Produzent von Gesellschaftsbildern sind und damit Film und Populärkultur auch einen Einfluss auf ‚unser‘ Verständnis von Organisation, Management und Arbeit und, mehr noch, auch unser Handeln in Organisationen nicht unberührt lässt. Die Dilbert Comic-Strips, welche eine Zeitlang so manches Büro zierten, bestärkte die eigene Vermutung ob der grundsätzlichen Absurdität des Managementhandeln. Jene japanischen Investmentbanker, welche sich ihre Haare wie Gordon Gekko in Wall Street frisieren, möchten wohl nicht nur die Frisur imitieren, sondern auch die Cleverness, Härte und Energie jenes filmischen (Anti-)Helden. Populärkultur und also auch Filme sind performativ, sie arbeiten an unseren Konstruktionen von unternehmerischer und managerialer Wirklichkeit mit. Und hinsichtlich dieser Performativität sind Sie einem wissenschaftlichen Text im Regelfall überlegen: “For most people, the latest blockbuster matters, whilst the latest critical management studies text doesn’t even appear on the radar” (Parker 2002: 134).
Quellen
Hassard, J., & Holliday, R. (1998). Introduction. In J. Hassard & R. Holliday (Hrsg.), Organization-representation: Work and organizations in popular culture (S. 1–15). Sage.
Horkheimer, M., & Adorno, T. W. (1988). Dialektik der Aufklärung: Philosophische Fragmente. Fischer Taschenbuch Verlag.
Kracauer, S. (1994). Das Ornament der Masse: Essays. Suhrkamp Verlag.
Parker, M. (2002). Against management: Organization in the age of managerialism. Polity Press.
2. Ressourcen – Datenbanken und Literatur
Die folgenden Ressourcen sollen zur vertiefenden Lektüre und natürlich auch zur Betrachtung von Filmen mit Blick auf die Reflexion von Organisation und Management anregen. Kritische Modelle der filmischen Reflexion von Organisation, Arbeit und Management und eine Verknüpfung von kritischer Organisationsforschung und Filmanalyse waren auch Gegenstand eines Vortrages mit dem Titel „Kapitalismus im Kino“, welchen ich auf Einladung der Initiative Kritische Ökonomik in Siegen halten durfte. Die dortige Diskussion war Ansporn, an diesem Thema weiter zu arbeiten. Die Folien zu diesem Vortrag finden sich hier zum Download:
II.a Filmdatenbanken
OFDB.de
OFDb.de („Online-Filmdatenbank“) ist eine deutschsprachige Filmdatenbank und bietet Informationen über nationale und internationale Spielfilme, Fernsehfilme und Fernsehserien.
Filmportal.de
Internet-Plattform zum deutschen Film mit Informationen zu mehr als 140.000 Filmen und 220.000 Personen und zudem zahlreiches Video- und Bildmaterial. Der Bestandskatalog enthält die Bestände des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, der Deutschen Kinemathek und der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung.
Archiv der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb)
Das Archiv der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) umfasst Filme, Fotos und zahlreiche andere Dokumente in Form von Produktionsunterlagen, Korrespondenzen und Ähnlichem. Das in der Deutschen Kinemathek befindliche Archiv deckt den Zeitraum zwischen 1966 und 2015 ab und wird kontinuierlich durch die dffb ergänzt und erweitert.
IMDb
Die Internet Movie Database (IMDb) ist eine Datenbank zu Filmen, Fernsehserien, Videoproduktionen und Computerspielen sowie über Personen, die daran mitgewirkt haben. Im Dezember 2019 gab es Einträge zu über 6,5 Mio. Filmproduktionen (davon der Großteil Fernsehfolgen) und zu über 10,4 Millionen Film- und Fernsehschaffenden. Betrieben wird die Datenbank von Amazon.com. Die Nutzung der Grundversion ist kostenlos
Rotten Tomatoes
Rotten Tomatoes ist eine englischsprachige Website, die insbesondere Rezensionen und Kritiken von Filmen und Fernsehserien sammelt, veröffentlicht und bewertet.
https://www.rottentomatoes.com/
UbuWeb
Internetportal für Avantgarde-Kunst, gegründet von Kenneth Goldsmith, welches inzwischen auch zahlreiche im Netz verfügbare Avantgarde Filme umfasst.
Mark Suchman initiierte eine offene Google-Docs Liste mit Filmen zu Organisations- und Arbeitsthemen. Auch eigene Ergänzungen zu dieser Liste sind möglich. Mehr Informationen und einen Link zur Liste gibt es hier:
https://orgtheory.wordpress.com/2016/10/11/movies-for-teaching-orgs-work/
II.b Film und Organisation – Literatur
Die folgende Liste ist eher als Einstieg denn als umfassender Überblick zu verstehen und soll zur weiteren Lektüre anregen. Das Thema Film liegt quer zu kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschungsfelder. Weitere Umfängliche Bezugnahmen finden sich in den Cultural Studies, Studien zu Popular Culture, zur Ästhetik, Semiotik oder im Kontext der Diskussion zur Postmoderne.
Überblickswerke zu Film und Filmtheorie
Braudy, L., & Cohen, M. (Hrsg.). (2016). Film Theory and Criticism: Introductory Readings (8. Aufl.). Oxford University Press.
Sehr gute Anthology, welcher einen Querschnitt klassischer und aktueller Texte zur Filmtheorie bietet.
Stam, R., & Miller, T. (Hrsg.). (2000). Film and Theory: An Anthology (1st Aufl.). Blackwell Publishing.
Ebenfalls ein guter Überblick, welcher stärker als Braudy/Cohen auf postmoderne Perspektiven abstellt.
Monaco, J. (2009). Film verstehen: Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films und der Neuen Medien (5. Auflage). Rowohlt Taschenbuch. (auch in neuerer Auflage erhältlich)
Guter historischer Abriss als auch Einblick in Filmtechnik und -semiotik.
Zaniello, T. (2018a). The Cinema of Globalization: A guide to films about the new economic order. Cornell University Press.
Zaniello, T. (2018b). Working stiffs, union maids, reds, and riffraff: An expanded guide to films about labor. Cornell University Press.
Zwei umfangreiche Kompendien zu Filmen mit Bezug zu Arbeit und Ökonomie.
Kracauer, S. (1984). Von Caligari zu Hitler: Eine psychologische Geschichte des deutschen Films (10. Aufl.). Suhrkamp Verlag.
Kracauer, S. (1985). Theorie des Films: Die Errettung der äußeren Wirklichkeit. Suhrkamp Verlag.
Siegfried Kracauer darf hier als Pionier der deutschsprachigen Filmkritik- und analyse nicht fehlen.
Monographien und Sammelbände zu Film, Management und Organisation
Bell, E. (2008). Reading management and organization in film. Palgrave Macmillan.
Sehr gut lesbare, für die Lehre konzipierte Darstellung der filmischen Problematisierung von Management und Organisation mit vielen Filmbeispielen und szenischen Analysen. Zudem knappe Darstellung von Analyseperspektiven.
Boozer, J. (2010). Career movies: American business and the success mystique. University of Texas Press.
Historische Rekonstruktion von ‚Career Movies‘ als eigenständigem Genre.
Hassard, J., & Holliday, R. (Hrsg.). (1998b). Organization-representation: Work and organizations in popular culture. Sage.
Sehr guter Sammelband mit instruktiver Einleitung und vielen Beiträgen mit Filmbezügen, darunter:
Hassard, J. Representing Reality: Cinéma Vérité
Corbett, M. J. Sublime Technologies and Future Organization in Science Fiction Film, 1970-95.
Stead, P. The Cultural Representation of Trade Unions.
McDowell, L. Fictional Money (or, Greed Isn’t so Good in the 1990s).
Möller, H., & Giernalczyk, T. (2017). Organisationskulturen im Spielfilm: Von Banken, Klöstern und der Mafia: 29 Film- & Firmenanalysen (1. Aufl. 2017). Springer.
Aufwändig gestalteter Band mit Filmanalysen und -betrachtungen mit jeweils unterschiedlich starkem Bezug zu Fragen der Organisationskultur. Viele Bezüge zu Fragestellungen der Supervision und Organisationspsychologie.
Parker, M. (2002). Against management: Organization in the age of managerialism. Polity Press.
Enthält ein instruktives Kapitel zu Film und dessen sich verändernder Reflexion von insb. Großorganisationen in historischer Perspektive.
Rhodes, C., & Lilley, S. (Hrsg.). (2012). Organization and popular culture: Information, representation and transformation. Routledge.
Guter Überblick über die Darstellung und Kritik von Organisation und Management in der Populärkultur.
Rhodes, C., & Westwood, R. I. (2008). Critical representations of work and organization in popular culture. Routledge.
Ebenso als Einstieg zu Organisation in der Populärkultur zu empfehlen. Die Bandbreite reicht hier von Blade Runner, britischen Sitcoms bis hin zu Punkrock und Sampling.
Weitere ausgewählte Zeitschriften- und Buchbeiträge
Bell Emma, & Davison Jane. (2012). Visual Management Studies: Empirical and Theoretical Approaches. International Journal of Management Reviews, 15(2), 167–184.
Buchanan, D. A., & Hällgren, M. (2018). Surviving a zombie apocalypse: Leadership configurations in extreme contexts. Management learning, 1350507618801708.
Case, P. (1999). Organizational Studies in Space: Stanislaw Lem and the Writing of Social Science Fiction. Organization, 6(4), 649–671.
De Cock, C., & Land, C. (2006). Organization/Literature: Exploring the Seam. Organization Studies, 27(4), 517–535.
Foreman, J., & Thatchenkery, T. J. (1996). Filmic representations for organizational analysis: The characterization of a transplant organization in the film Rising Sun. Journal of Organizational Change Management, 9(3), 44–61.
Grice, S., & Humphries, M. (1997). Critical management studies in postmodernity: Oxymorons in outer space? Journal of Organizational Change Management, 10(5), 412+.
Hartz, R. & Kötschau, S. (2019). Zur Ästhetisierung der Finanzmärkte – Eine explorative Analyse des Films The Wolf of Wall Street. In R. Hartz, W. Nienhüser & M. Rätzer (Hrsg.), Ästhetik und Organisation (S. 161–188). Springer VS.
Höpfl, H. (2002). Hitchcock’s Vertigo and the tragic sublime. Journal of OrgChange Mgmt, 15(1), 21–34.
Huczynski, A., & Buchanan, D. (2004). Theory from Fiction: A Narrative Process Perspective on the Pedagogical Use of Feature Film. Journal of Management Education, 28(6), 707–726.
Lopate, P. (2001). Hollywood Looks at the Business Office: [Introduction]. New Labor Forum, 9, 78–90.
McLean, C., Warren, S., & Davison, J. (2012). Exploring the visual in organizations and management. Qualitative Research in Organizations and Management: An International Journal, 7(1), 5–15.
Panayiotou, A. (2011). Deconstructing the manager: Discourses of power and resistance in popular cinema. Equality, Diversity and Inclusion: A International Journal, 31(1), 10–26.
Parker, M. (2017). Employing James Bond. Journal of Management Inquiry, 27(2), 178–189.
Parker, M., Higgins, M., Lightfoot, G., & Smith, W. (1999). Amazing Tales: Organization Studies as Science Fiction. Organization, 6(4), 579–590.
Phillips, N. (1995). Telling Organizational Tales: On the Role of Narrative Fiction in the Study of Organizations. Organization Studies, 16(4), 625–649.
Phillips, N., & Zyglidopoulos, S. (1999). Learning from Foundation: Asimov’s Psychohistory and the Limits of Organization Theory. Organization, 6(4), 591–608.
Rehn, A. (2008). Pop (Culture) Goes the Organization: On Highbrow, Lowbrow and Hybrids in Studying Popular Culture Within Organization Studies. Organization, 15(5), 765–783.
Rhodes, C., & Parker, M. (2008). Images of Organizing in Popular Culture. Organization, 15(5), 627–637.
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Steyaert, C., Marti, L., & Michels, C. (2012). Multiplicity and reflexivity in organizational research: Towards a performative approach to the visual. Qualitative Research in Organizations and Management: An International Journal, 7(1), 34–53.
Tirado, F. J., Alcaraz, J. M., & DomèNech, M. (1999). A Change of Episteme for Organizations: A Lesson from Solaris. Organization, 6(4), 673–690.
Warren, S. (2008). Empirical Challenges in Organizational Aesthetics Research: Towards a Sensual Methodology. Organization Studies, 29(4), 559–580.
Weiskopf, R. (2014). Ethical–aesthetic critique of moral organization: Inspirations from Michael Haneke’s cinematic work. Culture and Organization, 20(2), 152–174.
Wood, T. (2002). Spectacular metaphors: From theatre to cinema. Journal of Organizational Change Management, 15(1), 11–20.
II.c BLOG-Einträge
Auch auf diesem BLOG verweise ich unregelmäßig auf weitere, insbesondere deutschsprachige Dokumentationen und Filme. Hier einige ausgewählte Beiträge, zum Teil schon älteren Datums:
Filme und TV-Serien über Arbeit
„Das ist unser Haus“ – Dokumentarfilm über das Mietshäuser-Syndikat
Wilde Streiks – der heiße Herbst 1969
Film-Festival „Corporate Bodies“ in Den Haag
Dokumentarfilmfestival „Utopianale“ in Hannover
Youtube-Kanal „Workplace Democracy“