Diskurs und Ökonomie #22: Die manövrierunfähigen Tanker der Ökonomie

Für Jürgen Link (2009, S. 368ff.) spielen im Bereich der Kollektivsymbole die ‚technischen Vehikel‘ (Schiff, Eisenbahn, Auto, Flugzeug, Raum-Schiff) und die Körpersymbolik eine quantitativ als auch qualitativ überragende Rolle. An früherer Stelle wurde etwa auf die Auto-Symbolik und auf Körpersymbolik im Sinne von bedrohlichen Krankheiten (Virus) als Form der Symbolisierung der Ökonomie verwiesen. Nun liefert die TAZ in einem Kommentar zum ‚Dieselgipfel‘ ein schönes Beispiel für die Schiffssymbolik. Über die Autokonzerne heißt es:

„Sie sind wie manövrierunfähige Tanker, die nur geradeaus fahren können. Vielleicht können sie aus eigener Kraft noch minimal abbremsen. Aber sie steuern unweigerlich auf die Klippe zu. Die betrügerische Bande wird aus falsch verstandenem Selbsterhaltungstrieb weitermachen, auflaufen und untergehen. Jeder weiß das.“ (TAZ vom 3.08.2017, S.1)

Hervorgerufen wird erstens das Bild schierer Größe und auch Trägheit. Die ‚Manövrierunfähigkeit‘ verstärkt dieses Bild, insofern eine ganze Industrie nun unkontrollierbar auf die Katastrophe, die Klippe (des Ruins) zufährt. Kein Verantwortlicher, keine(r) welcher die Unternehmen ‚manövrierfähig‘ machen und ‚lenken‘ könnte, scheint in Sicht. Was hier fehlt ist der oftmals in diesem Bildbereich anzutreffende ‚Steuermann‘ oder auch der ‚Kapitän‘, welcher vielleicht den ‚Stürmen der Globalisierung‘ oder dem ‚Tsunami‘ der Krise trotzt, gelegentlich aber auch einmal ‚das Schiff verlässt‘. Niemand ist also in diesem Beispiel zunächst zu finden, den man womöglich zur Verantwortung ziehen könnte – die schiere Größe und Schwerfälligkeit scheinen dem entgegenzustehen.

Dann aber ein Bildbruch, eine Katachrese: Aus den Tankern werden ‚betrügerische Banden‘, welche ‚untergehen‘. Oder sollte die Schiffsbesatzung gemeint sein? Aber auch hier nur ein generischer kollektiver Akteur. Zudem nun das Bild von Kriminellen, zu verstehen als Abweichung von der ökonomischen Normalität.

In all dem verdichtet wird das Drama einer Branche entworfen, deren Untergang man beiwohnt. Mal wieder Titanic, diesmal aber ohne Glamour. Deutlich wird auch hier die Affektbesetzung – der Thrill – des ökonomischen Diskurses, welcher sich subjektiv in Besorgnis, Panik, Hoffnung oder Optimismus transformiert.

Da ist es dann – kritisch gewendet – schon verwunderlich, wie agil man hinsichtlich von Umtauschprämien für alte Diesel agiert, wie agil man auch am ‚Dieselgipfel‘ beteiligt war. Man sollte also vorsichtig damit sein, einem Tanker – wenn man denn diesem Bild folgen möchte – allein Schwerfälligkeit zuzusprechen. Er ist auch ein Symbol – wenn auch nicht in diesem TAZ-Kommentar – von ökonomischer und politischer Macht.

Quelle

Link, Jürgen (2009): Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. 4. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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