Diskurs und Ökonomie – Teil 5: „Bei aller Wertschätzung für ihre tägliche Arbeit“, oder: Arbeitskämpfe als ‚diskursive Kämpfe‘

Nach reichlich langer Pause soll in dieser Reihe aus aktuellem Anlass ein kurzer Blick auf den Tarifkonflikt in den kommunalen Kindertageseinrichtungen geworfen werden. Zielten die bisherigen Anmerkungen auf Aspekte der symbolischen Ordnung der Ökonomie (vgl. Zombiebanken, Virus, Kernschmelze, Handbremse und Gaspedal), lenken die aktuellen Arbeitskämpfe den Blick auf die in den Auseinandersetzungen verwendeten Argumente, genauer ‚argumentative Strategien‘, insofern Arbeitskämpfe immer auch als ‚diskursive Kämpfe‘ zu verstehen sind. Diskursanalytisch lässt sich dies – etwa im Anschluss an die Arbeiten von Martin Wengeler – als Topos-Analyse fassen, welche auch Aufschlüsse über das den Argumenten jeweils zugrunde liegende kollektive Wissen gibt.

Dazu ein kleines Beispiel aus einer Pressemitteilung der Stadt Dresden vom 19.05.2015, welche meines Erachtens stellvertretend für ein Argumentationsmuster bei Tarifkonflikten im öffentlichen Sektor steht (zur vollständigen Mitteilung geht es hier: http://www.dresden.de/de/02/035/01/2015/05/pm_069.php?lastpage=zur%20Homepage):

„Der Eigenbetrieb Kindertageseinrichtungen hat zwischenzeitlich die zu erwartenden Mehrausgaben berechnet, falls sich die Gewerkschaften mit ihren Forderung nach durchschnittlich 10 Prozent mehr Lohn durchsetzen sollten. Danach kommen auf die Stadt allein aus dem Bereich der kommunalen Kitas Mehrkosten in Höhe von jährlich 14 Millionen Euro für einen solchen Tarifabschluss zu. In etwa der gleiche Betrag würde zusätzlich fällig werden, sollten sich die von freien Trägern geführten Einrichtungen dem Tarifabschluss anschließen. „Diese Beträge darf man im Zuge der Verhandlungen nicht aus dem Blick verlieren. Bei aller Wertschätzung, die ich den Kolleginnen und Kollegen für ihre tägliche Arbeit in den Kitas entgegen bringe, es sind alles Gelder, die Eltern und Steuerzahler erst erarbeiten müssen“, sagt der für die Dresdner Kitas verantwortliche Sozialbürgermeister Martin Seidel.“

Sicher sind mehrere Dinge bedenkenswert (so die alleinige Rede von Gewerkschaften, nicht etwa Erzieherinnen, welche Forderungen erheben oder die semantische Engführung des Konfliktes auf eine Kennzahl). Aus Topoi-Sicht ist die Aussage des Sozialbürgermeisters von Interesse, welcher explizit den klassischen ‚Kuchentopos‘ aktiviert: Erst muss etwas erarbeitet werden, bevor es verteilt werden kann (das Einnahmenproblem wird in eine unsichere Zukunft verschoben). Implizit wird auch auf den Topos der ‚leeren Kassen‘ verwiesen: Es ist nichts da, was es zu verteilen gibt (Verteilungsfragen wurden offenbar in der Vergangenheit geklärt). Diese Topoi dominieren das auch adressierte ‚kollektive Wissen‘, dass Erzieher_in ein wertzuschätzender Beruf ist. Diese damit mitschwingende Geste des Bedauerns lässt sich als weitere diskursive Depolitisierung des Arbeitskampfes sehen. Insofern scheint eine mögliche Spezifik von Topoi in Arbeitskämpfen als ‚diskursive Kämpfe‘ gerade auf die Infragestellung eines überhaupt und hier und jetzt zu führenden Kampfes abzuzielen, insofern die Gegenwart einfach ein schlechter Augenblick für derartige Auseinandersetzungen ist. Weitere Belege für argumentative Formen der Depolitisierung sollten sich meines Erachtens leicht auffinden lassen.

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